Sprichst du Atem?
Christoph Chwatal über Something’s in the Air von Janša/Narat/Preda/Tomažin im TQW–Tanzquartier Wien
Kurzatmigkeit, Atemlosigkeit, Atemnot – so ließe sich die Verfassung einer Leistungsgesellschaft auch diagnostizieren. In Formen der Paartherapie, der Herzatmung, in der Logopädie oder beim Yoga nimmt das gezielte Ein- und Ausatmen eine zentrale Rolle ein. Zum eigenen Körper zurückfinden oder das Gegenüber mithilfe der basalsten Körperfunktion besser verstehen, heißt es. In alltäglicher Notwendigkeit wird indes ohne Willkür geatmet, und so befinden wir uns auch unwillkürlich in einem ständigen Austauschverhältnis mit der Gemeinschaft, in der wir leben.
„Zraka!“ (Luft!), so der slowenische Ausruf, der dem experimentellen Stück von Janez Janša und seinen Koautor_innen Boštjan Narat, Irena Preda und Irena Tomažin in seiner Erstfassung 2015 vorangestellt war. In Something’s in the Air ist etwas in der Luft, nämlich ein Gefühl der Spannung, der Verhandlung und der Gewalt. Der Variantenreichtum und die persönlichen Ausprägungen des Atmens stehen der gesprochen Sprache um nichts nach. So wird das Atmen hier zur Ersatzhandlung des Sprechens und gibt Aufschlüsse darüber, wie sich das soziale Gefüge organisiert.
In Something’s in the Air wird nicht zusammen meditiert, um danach Schritt zu halten mit den Erfordernissen, die an uns gestellt werden. Mit dem Soziologen Hartmut Rosa kann man hier vielmehr von einer „Resonanzerfahrung“ sprechen, einer Möglichkeit, die Welt zu spüren und in Beziehung zu ihr zu treten.
Der anfänglich völlig abgedunkelte Raum wirft die Besucher_innen auf die Punktförmigkeit des Daseins zurück, die räumlich-zeitliche Orientierung und die eigene Körperlichkeit erscheinen wie weggeblasen. Das Schnauben, Hecheln oder spitze Ausstoßen wechselt in Rhythmus, Lautstärke und Intensität. Besonders beklemmend wird ein geatmeter „Dialog“, in dem sich ängstliches Keuchen mit einem perfiden Lachen vermengt. Das Setting – eine Tribüne mit gegenüberliegendem Bühnenraum – wird erst vorstellbar, nachdem ein einzelner schwacher Spot die Sopranistin Irena Preda aus der Dunkelheit herausschält. Die Besucher_ innen trennt vorerst eine halbdurchsichtige Membran vom Bühnenraum, die im weiteren Verlauf wie ein Schleier gelüftet wird.
Die sieben Performerinnen – vielleicht ein Hinweis darauf, dass Janša die Idee zu dem Stück in einem Geburtsvorbereitungskurs gekommen ist – sitzen ganz in Schwarz gekleidet vor uns. Die zuvor so lebhaften „Dialoge“ hatten körperliche Interaktion suggeriert, was nun durch die augenscheinlich starre Anordnung der Körper im Raum korrigiert wird. Von quasireligiösen Motiven – etwa dem gegenseitigen Einhauchen von Atem – bis zu geatmeten Gruppendiskussionen, die den Variantenreichtum des Ein- und Ausatmens abbilden, reicht das Spektrum. In einem dritten Abschnitt werden die Besucher_innen wieder zurück in die Dunkelheit versetzt, wobei so etwas wie ein hermeneutischer Zirkel in Gang gebracht wird, eine Schleife, die eine Reflexion über die vorherige Erfahrung ermöglicht.
Für Janša ist Something’s in the Air nicht an ein „Außen“ gerichtet. Nur potenziell beeinflusst das Geschehen auch die Besucher_innen, was insbesondere an Stellen deutlich wird, an denen die teils grotesken Laute aus dem Bühnenraum in ein verhaltenes Lachen auf der Tribüne übergehen. Natürlich steckt das Atmen an, es springt wie ein Funke über, genauso wie ein Gähnen im Raum oder das Entzünden einer Zigarette in der Bar. Das Atmen betrifft nicht nur uns selbst – es ist keine bloß nach innen gerichtete Funktion –, sondern hat eine Gemeinschaftsfunktion, so wie die Sprache unser Denken organisiert und auf den Austausch hin ausgelegt ist. Dem Ein- und Ausatmen ist also, wie dem Sprechen und Zuhören, eine doppelte Richtung inhärent. Diese Doppelfunktion macht das Atmen zu einem Bindeglied zwischen dem Selbst und der Gemeinschaft.
Indem wir etwas zusammen tun, schaffen wir eine Gemeinschaft, die auf ständiger intersubjektiver Verhandlung basiert. Eine Versammlung von Menschen macht noch keine Gemeinschaft, und so schafft auch Something’s in the Air nur einen Möglichkeitsraum. Essenziell ist also die Frage, wie „Gemeinschaft“ hier imaginiert und gelebt wird. Wenn wir zusammen atmen, müssen wir uns verständigen, in welchem Rhythmus, in welcher Intensität und in welcher Lautstärke wir dies tun. Gerade dieser Prozess der Verhandlung und des Antagonismus, der jeder Gemeinschaft inhärent ist, wird in Something’s in the Air dargestellt.
Sprichst du Atem?
Christoph Chwatal über Something’s in the Air von Janša/Narat/Preda/Tomažin im TQW–Tanzquartier Wien
Kurzatmigkeit, Atemlosigkeit, Atemnot – so ließe sich die Verfassung einer Leistungsgesellschaft auch diagnostizieren. In Formen der Paartherapie, der Herzatmung, in der Logopädie oder beim Yoga nimmt das gezielte Ein- und Ausatmen eine zentrale Rolle ein. Zum eigenen Körper zurückfinden oder das Gegenüber mithilfe der basalsten Körperfunktion besser verstehen, heißt es. In alltäglicher Notwendigkeit wird indes ohne Willkür geatmet, und so befinden wir uns auch unwillkürlich in einem ständigen Austauschverhältnis mit der Gemeinschaft, in der wir leben.
„Zraka!“ (Luft!), so der slowenische Ausruf, der dem experimentellen Stück von Janez Janša und seinen Koautor_innen Boštjan Narat, Irena Preda und Irena Tomažin in seiner Erstfassung 2015 vorangestellt war. In Something’s in the Air ist etwas in der Luft, nämlich ein Gefühl der Spannung, der Verhandlung und der Gewalt. Der Variantenreichtum und die persönlichen Ausprägungen des Atmens stehen der gesprochen Sprache um nichts nach. So wird das Atmen hier zur Ersatzhandlung des Sprechens und gibt Aufschlüsse darüber, wie sich das soziale Gefüge organisiert.
In Something’s in the Air wird nicht zusammen meditiert, um danach Schritt zu halten mit den Erfordernissen, die an uns gestellt werden. Mit dem Soziologen Hartmut Rosa kann man hier vielmehr von einer „Resonanzerfahrung“ sprechen, einer Möglichkeit, die Welt zu spüren und in Beziehung zu ihr zu treten.
Der anfänglich völlig abgedunkelte Raum wirft die Besucher_innen auf die Punktförmigkeit des Daseins zurück, die räumlich-zeitliche Orientierung und die eigene Körperlichkeit erscheinen wie weggeblasen. Das Schnauben, Hecheln oder spitze Ausstoßen wechselt in Rhythmus, Lautstärke und Intensität. Besonders beklemmend wird ein geatmeter „Dialog“, in dem sich ängstliches Keuchen mit einem perfiden Lachen vermengt. Das Setting – eine Tribüne mit gegenüberliegendem Bühnenraum – wird erst vorstellbar, nachdem ein einzelner schwacher Spot die Sopranistin Irena Preda aus der Dunkelheit herausschält. Die Besucher_ innen trennt vorerst eine halbdurchsichtige Membran vom Bühnenraum, die im weiteren Verlauf wie ein Schleier gelüftet wird.
Die sieben Performerinnen – vielleicht ein Hinweis darauf, dass Janša die Idee zu dem Stück in einem Geburtsvorbereitungskurs gekommen ist – sitzen ganz in Schwarz gekleidet vor uns. Die zuvor so lebhaften „Dialoge“ hatten körperliche Interaktion suggeriert, was nun durch die augenscheinlich starre Anordnung der Körper im Raum korrigiert wird. Von quasireligiösen Motiven – etwa dem gegenseitigen Einhauchen von Atem – bis zu geatmeten Gruppendiskussionen, die den Variantenreichtum des Ein- und Ausatmens abbilden, reicht das Spektrum. In einem dritten Abschnitt werden die Besucher_innen wieder zurück in die Dunkelheit versetzt, wobei so etwas wie ein hermeneutischer Zirkel in Gang gebracht wird, eine Schleife, die eine Reflexion über die vorherige Erfahrung ermöglicht.
Für Janša ist Something’s in the Air nicht an ein „Außen“ gerichtet. Nur potenziell beeinflusst das Geschehen auch die Besucher_innen, was insbesondere an Stellen deutlich wird, an denen die teils grotesken Laute aus dem Bühnenraum in ein verhaltenes Lachen auf der Tribüne übergehen. Natürlich steckt das Atmen an, es springt wie ein Funke über, genauso wie ein Gähnen im Raum oder das Entzünden einer Zigarette in der Bar. Das Atmen betrifft nicht nur uns selbst – es ist keine bloß nach innen gerichtete Funktion –, sondern hat eine Gemeinschaftsfunktion, so wie die Sprache unser Denken organisiert und auf den Austausch hin ausgelegt ist. Dem Ein- und Ausatmen ist also, wie dem Sprechen und Zuhören, eine doppelte Richtung inhärent. Diese Doppelfunktion macht das Atmen zu einem Bindeglied zwischen dem Selbst und der Gemeinschaft.
Indem wir etwas zusammen tun, schaffen wir eine Gemeinschaft, die auf ständiger intersubjektiver Verhandlung basiert. Eine Versammlung von Menschen macht noch keine Gemeinschaft, und so schafft auch Something’s in the Air nur einen Möglichkeitsraum. Essenziell ist also die Frage, wie „Gemeinschaft“ hier imaginiert und gelebt wird. Wenn wir zusammen atmen, müssen wir uns verständigen, in welchem Rhythmus, in welcher Intensität und in welcher Lautstärke wir dies tun. Gerade dieser Prozess der Verhandlung und des Antagonismus, der jeder Gemeinschaft inhärent ist, wird in Something’s in the Air dargestellt.